Wer ist der Wichtigste?
In der letzten Geschichte hatte der kleine Friederich zum ersten Mal in seinem Leben eine Ahnung davon bekommen, wie viel Reichtum in ein paar Krümeln Brot steckt. Ehrfurcht und Dankbarkeit hatte er kennen - und das Brot schätzen gelernt. Doch das Erlebte hatte in ihm erst recht die Neugierde geweckt und nun wollte er vom Mühlenmännlein ALLES über‘s Brot erfahren. Einige Zeit später trieb sich der Frieder wieder einmal im Wald herum und dachte die ganze Zeit darüber nach, wie wohl aus Körnern ein richtiges Brot wird und was er wohl werden sollte, wenn er erst groß wäre.
Genau in dem Moment stand plötzlich wieder das Mühlenmännlein vor ihm und krächzte: „Die Antworten auf deine Fragen warten drüben im Wirtshaus auf dich. Geh nur hinein und höre gut zu.“ Dann kicherte das Mühlenmännlein, setzte sich auf einen alten Baumstumpf, schloss die Augen und wartete stumm.
Der Frieder machte sich gleich auf den Weg. Etwas unsicher betrat er das Wirtshaus, setzte sich an den warmen Ofen und hörte zu, was an den Tischen so alles erzählt wurde. Ein Gespräch machte ihn ganz besonders neugierig. Der Bauer, der Müller und der Bäcker saßen am Nebentisch und fragten sich, wer wohl der Wichtigste von Ihnen sei?
„Ich bin immer an der frischen Luft, in der Natur. Zuerst wird der Boden gepflügt, damit der Boden locker und luftig wird. Mit der Egge werden dann die großen Erdschollen wieder zerkleinert und alles geglättet.
Als nächstes wird gesät, je nach Getreide im Frühjahr oder vor dem Winter. Sonne, Wasser, Luft und Erde lassen es reifen und Im Herbst wird geerntet. Das Korn wird geschnitten, zusammengebunden und mit dem Pferdewagen in die Scheune gebracht.
Im Winter, wenn nicht so viel zu tun ist und die Tage kürzer werden, wird gedroschen und am Ende hat man reines Korn für den Müller und Stroh für die Tiere. Also bin ich der Wichtigste, denn ohne Korn kein Brot!“ So sprach der Bauer.
Der Müller und der Bäcker nickten nachdenklich. Jetzt war der Müller an der Reihe: „Von alters her geht’s in den Mühlen immer schon recht geheimnisvoll zu. Mit der gewaltigen Kraft, die im Wasser steckt, werden das Wasserrad und über ein geheimnisvolles Durcheinander von Riemen, Balken und Zahnrädern werden die schweren Mühlsteine angetrieben, die die Körner mahlen.
Ich muss diese Kraft bändigen und sorge dafür, dass alles reibungslos funktioniert und alles ganz genau und richtig eingestellt ist, damit das Mehl die Feinheit bekommt, die es braucht. Danach wird das frische Mehl in Säcke gefüllt und kommt zum Bäcker. Ohne mich gibt es also kein Mehl – ich habe den wichtigsten Beruf!“
Wieder nickten die anderen Zwei nachdenklich und dann fing der Bäcker an zu erzählen: „Bei mir in der Backstube ist es immer wohlig warm, selbst im Winter, und es duftet so herrlich. Wenn alle noch schlafen, sind wir Bäcker schon seit Stunden zugange. Mit frischem Mehl und reinstem, klaren Wasser und etwas vom wichtigen Salz stelle ich die Teige her.
Je nachdem, was ich backen möchte, werden dann der Sauerteig und andere Zutaten dazugegeben. Viele uralte Rezepte, die immer von Vater zum Sohn weiter gegeben werden, habe ich im Kopf. Wenn alles vermengt und geknetet ist, geht‘s in den Ofen. Temperatur und Backzeit sind sehr wichtig für den Geschmack. Am Ende liegen im Laden feinste, wohlduftende und frische Backwaren und ganz verschiedene Brote – der Wichtigste bin also wohl ich“
Dieses Mal nickten der Bauer und der Müller nachdenklich. Aber wer von den Dreien nun der Wichtigste ist, das wussten sie immer noch nicht. Und auch der Frieder hatte keine Antwort auf seine Fragen. So verließ er das Wirtshaus und ging zurück zum Mühlenmännlein. Das kleine Männlein schaute dem Frieder einen Moment lang in die Augen, spürte gleich, dass der Frieder noch keine Antworten auf seine Fragen hatte und sprach dann:
Nun, der Bauer ist sehr wichtig. Er hat einen schönen Beruf und ohne ihn geht’s wohl nicht. Der Müller ist aber ebenso wichtig und auch er hat eine wunderbare Arbeit. Nun kommen wir zum Bäcker. Sein Beruf ist herrlich und er ist genauso wichtig wie die anderen Zwei.
Sie alle sind sehr wichtig. Aber nun hör gut zu Frieder! Am Wichtigsten von allen ist der, der das Getreide wachsen lässt, der, der das Wasser fließen lässt, das die schweren Mühlsteine antreibt und der, der uns den Feuergeist geschenkt hat, der im Backofen wohnt und aus Teig duftendes Brot werden lässt.
Und ob du nun Bauer, Müller oder Bäcker wirst, das ist ganz egal, einzig wichtig ist, dass du deine Arbeit mit Freude, Liebe und Leidenschaft machst. In Zukunft werden viele Arbeiten von Maschinen übernommen. Und je komplizierter alles wird, desto wichtiger nehmen sich die Menschen und desto mehr vergessen sie wo alles her kommt. Vergiss nie, wem wir alles zu verdanken haben, dann wird die moderne Technik ein Segen sein.“
Dann schlurfte das kleine sauerländer Mühlenmännlein wieder zurück in seine Mühle und ließ einen nachdenklichen und doch reich beschenkten Frieder zurück, der endlich Antworten auf seine Fragen hatte.
Michael Klute, der Mundwerker.
Entdecker und Freund des sauerländer Mühlenmännleins.
Zeichnungen: Maja Funke